„Es muss sich etwas ändern“

Dr. Dimitri Deheyn ist ein führender Meeresbiologe bei Scripps - Institution of Oceanography in La Jolla, Kalifornien. In ihrem Gastbeitrag diskutiert Evelyn Höllrigl von LittlePaperPlane mit dem Experten über die Auswirkungen von Einwegplastik auf unsere Umwelt sowie nachhaltige Alternativen. Gibt es noch Hoffnung für unsere Meere?

Dr. Dimitri Deheyn | Copyright: Jeff Dillon, SIO

Es gibt Stoffe und Substanzen in unserer Welt, die zwar zu technologischen Fortschritten geführt, aber auch verheerende Folgen mit sich gebracht haben: So auch erdölbasierte Kunststoffe, die unsere Meere zerstören. Und um das zu ändern, müssen wir unsere Verhaltensmuster ändern und auf jene Stimmen hören, die vielleicht nicht so laut sind wie die Stimmen aus der Werbung, aber wissen, wovon sie reden. Stimmen, die wissen, wie die Zukunft aussehen könnte, wenn wir weiterhin unsere Meere verschmutzen.

Dr. Dimitri Deheyn ist ein führender Meeresbiologe bei Scripps - Institution of Oceanography in La Jolla, Kalifornien und beantwortete in einem Experteninterview ein paar Fragen rund um die Themen Meeresverschmutzung und Umweltschutz.

 

Dr. Deheyn, was sind Ihre Hauptaufgaben als Meeresbiologe?

Dr. Deheyn: Nun, ich habe viele verschiedene Aufgaben, aber mein Schwerpunktbereich ist die Biomimikry. Dabei stellen wir uns die Frage, was wir von der Natur lernen können, um dadurch bessere Technologien zu konzipieren, die unsere Weltmeere weniger belasten. Wir forschen nach neuen Verbindungen, die zur Unterstützung von nachhaltigeren Alternativen beitragen können.

Ich betrachte mich als „Fachgeneralist“, was bedeutet, dass ich viele verschiedene Forschungsgebiete betreue und versuche, sie miteinander zu verbinden. Ich arbeite viel mit Ingenieuren, Physikern, anderen Wissenschaftlern und manchmal auch mit Vertretern der Industrie zusammen.

Wer sind die größten Verschmutzer der Meere? Warum sind sie so schädlich?

Dr. Deheyn: Wenn ich darüber nachdenke, was unsere Umwelt belastet, dann ist für mich eines klar ersichtlich: Stoffe, die sich nicht biologisch abbauen lassen, bzw. deren Abbauprozess über mehrere Jahrzehnte hinweg andauert, sind die bedeutendsten  Verursacher von Umweltverschmutzung. Die gute Nachricht ist, dass das Bewusstsein dafür in der Gesellschaft kontinuierlich ansteigt und sich viele Menschen zunehmend dafür einsetzen, die Meere aber auch die Umwelt in ihrer Gesamtheit zu schützen. Zum Teil werden beträchtliche Bemühungen unternommen, um Einwegplastik wie etwa Plastiktüten, Strohhalme aber auch die Verpackungen von Hygieneartikeln und anderen Convenience-Produkten zu vermeiden. Denn diese Kunststoffe sind nicht biologisch abbaubar, zumindest nicht in einer absehbaren Zeitspanne und belasten die Umwelt dadurch über viele Jahre.

Ein weiteres großes Problem sind die „unsichtbaren“ Umweltverschmutzer. Normalerweise können wir Plastik sehen und uns bewusst dafür oder dagegen entscheiden. Wir sehen den Strohhalm, der heute verwendet wird und morgen im Meer landet, wo er Schildkröten und viele andere Meeresbewohner gefährdet. Diese Verbindung hat, denke ich, ebenfalls zum gesellschaftlichen Engagement für den Schutz der Meere beigetragen. Doch auch Mikroplastik, etwa in Form von Mikrofasern auf Basis fossiler Rohstoffe, ist eine der Hauptursachen für die Meeresverschmutzung. Man kann diese mikroskopisch kleinen Plastikpartikel kaum sehen, daher ist es für die breite Öffentlichkeit oftmals nicht so einfach, sich dieses enorme Problem vorzustellen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass erdölbasiertes Plastik die Hauptquelle der Umweltverschmutzung ist - nicht die einzige, aber die größte. In Zeiten der Covid-19-Pandemie ist das deutlich zu erkennen. Die Menschen verwenden häufiger Hygieneartikel wie Feuchttücher, die oft zu einem hohen Anteil aus erdölbasierten Kunststoffen bestehen und entsorgen sie leider nicht selten, als wären sie biologisch abbaubar. Es gibt bereits Berichte über die Sichtung großer Mengen solcher Tücher in den Ozeanen. Man muss nur einmal darüber nachdenken, wie viele Menschen täglich Feuchttücher verwenden. Wir können es uns nicht leisten, solche Wegwerfartikel einfach in der Umwelt zu entsorgen. Die Folgen dieser Pandemie auf die Meere werden erheblich sein und lange Zeit andauern, wenn wir nicht sofort handeln.

Sie haben sicher davon gehört, dass die EU Einwegprodukte aus Kunststoff im Zuge der „Einwegplastik-Richtlinie“ kennzeichnen will. Denken Sie, das wird ein Umdenken beim Konsumenten hervorrufen?

Dr. Deheyn: Kennzeichnungen sind wichtig. Wir müssen sichergehen, dass die Menschen eine bewusste Entscheidung treffen können. Wer eine Creme benutzt, die Plastik enthält, muss das wissen. Wer ein Feuchttuch auf Basis erdölbasierter Rohstoffe verwendet, sollte das wissen. Man sollte aber auch wissen, dass es eine Alternative gibt, wie zum Beispiel Feuchttücher aus holzbasierten Cellulosefasern. Man sollte sich bewusst entscheiden können. Die Menschen neigen dazu, Annahmen zu treffen. Wer ein Feuchttuch für sein Baby verwendet, nimmt an, es wäre aus „Papier“, obwohl es oft komplett aus Plastikfasern besteht. Dadurch wird das Plastiktuch nach Gebrauch auch wie Papier entsorgt. Deswegen sind Kennzeichnungen zur Aufklärung der Verbraucher von entscheidender Bedeutung.

Welche Schwierigkeiten gehen mit dem neuen Kennzeichnungssystem einher?

Dr. Deheyn: Die Entscheidung seitens EU und USA, Einwegplastik zu verbieten, ist wichtig. Wir müssen Materialien wiederverwenden und wir brauchen biologisch abbaubare Alternativen. Das Problem liegt darin zu entscheiden, was Plastik ist und was nicht. Ich verstehe, dass Definitionen für deren Macher schwierig sind, doch für die Konsumenten sollte es leicht sein, klar zwischen cellulosischen und erdölbasierten Rohstoffen zu unterscheiden.

In meinem Labor haben wir den Abbau von erdölbasierten Kunststoffen mit jenem von alternativen Materialien verglichen und zwar unter realistischen Bedingungen direkt im Meer. Wir konnten deutlich sehen, dass erdölbasierte Materialien nicht abgebaut werden, während Wolle oder holzbasierte Cellulose dies sehr wohl tun. Die Oberfläche eines Plastikteilchens schafft kein gutes Zuhause für ein Ökosystem. Alternativen natürlichen Ursprungs werden hingegen schnell von Mikroorganismen wie Algen und Bakterien besiedelt. Genau das macht den Unterschied aus.

Viel zu oft entwickeln wir Vorgehensweisen, ohne das große Ganze im Blick zu behalten: Zum Beispiel, was gehört alles zum Kohlenstoffkreislauf? Wenn man einen Schritt zurückgeht und sich die Definition von Plastik ansieht, sollte man das mit einbeziehen. Wir können dem Kreislauf nicht immer wieder etwas hinzufügen, das eigentlich per se nicht Teil dieses Kreislaufs ist, ohne damit unser Ökosystem zu gefährden.

Wir müssen also nicht verzichten, sondern einfach Alternativen nutzen?

Dr. Deheyn: Absolut. Aber es muss einen Anreiz für den Konsumenten geben. Und dieser Anreiz muss auf einer fairen und ehrlichen Offenlegung über die Auswirkungen des Produkts basieren. Die Menschen sehen Plastiktüten im Meer schwimmen und sagen „das ist furchtbar“, aber das geht über das hinaus, woran wir als Meeresbiologen interessiert sind. Diese Plastiktüten aus fossilen Rohstoffen bleiben hunderte von Jahren dort. Sie können auf den Grund des Ozeans sinken oder in den Verdauungstrakt eines Wals gelangen. Sie sind kein Bestandteil des gesamten Systems und dessen müssen wir uns bewusst sein und die Konsumenten sollten darüber informiert werden. Wenn etwas aus nicht abbaubaren, erdölbasierten Kunststoffen besteht, sollte es immer wieder verwendet werden. Und wenn es entsorgt wird, dann richtig. Es ist in Ordnung, wenn durch Recyclingprojekte gebrauchtes Plastik als Baumaterial verwertet wird. Den Konsumenten muss klar werden, dass Kunststoffe wie Glas behandelt werden sollte: Wasch es und verwende es solange, bis es nicht mehr genutzt werden kann. Dann entsorge es ordnungsgemäß und wirf es nicht einfach in die Natur. Diese Einstellung ist noch nicht vorhanden. Einwegkunststoffe sind seit den 70er‑Jahren fester Bestandteil des Alltags, weil sie einfach und schnell herzustellen sind. Kunststoffe sind in Ordnung, wenn sie clever wiederverwendet werden. Auch dabei kommt es aber auf das „Wie“ an.

Welche Alternativen haben Konsumenten, um Plastik zu vermeiden?

Dr. Deheyn: Alternativ können zum Beispiel Materialien aus Cellulose verwendet werden. Materialien, die im Ökosystem vorkommen, wie etwa Holz. Wer Feuchttücher aus holzbasierten Cellulosefasern wie Viskose oder Lyocell verwendet, hat eine gute Alternative zu jenen aus Kunststofffasern.

Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass es Kunststoffe gibt, die beispielsweise für Autos und Haushaltswaren genutzt werden. Diese landen nicht im Meer, weil sie strengen Recyclingvorschriften unterliegen. Die Textilindustrie hingegen trägt wesentlich zur Verschmutzung der Meere durch Plastik bei, weil den Menschen nicht bewusst ist, was sie da tragen. Sie sehen Plastiktüten und -strohhalme. Aber jedes Mal wenn wir ein Kleidungsstück aus erdölbasierten Rohstoffen waschen, verschmutzen wir die Meere erheblich mit Mikroplastik und Mikrofasern. Bei Feuchttüchern ist es noch schlimmer: Bis heute müssen Hersteller nur die Inhaltsstoffe der Lotionen benennen, die sie auf die Tücher geben. Aus diesem Grund haben Konsumenten kaum eine Chance, zwischen Tüchern erdölbasierten Ursprungs und Alternativen aus Cellulose zu unterscheiden.

Aber wie machen wir das den Menschen bewusst?

Dr. Deheyn: Wir sprechen hier von unsichtbaren Umweltverschmutzern. Das müssen wir ändern. Wir müssen sie sichtbar werden lassen und ein Bewusstsein dafür schaffen. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass erdölbasierte Fasern am Nordpol landen, ist ziemlich hoch - selbst wenn man in der südlichen Hemisphäre lebt. Dieser globale Aspekt muss von der Öffentlichkeit erkannt werden. Konsumenten müssen eine Entscheidung treffen können. Sie müssen sich der weltweiten Auswirkungen von Mikroschadstoffen bewusst sein. Mit unserem Konsumverhalten tragen wir alle aktiv zu ihrer Produktion bei – hier kann man die Schuld nicht einfach auf den Nachbarn schieben. Wer erdölbasierte Kunststoffe kauft, sollte wissen, wie er damit die Umwelt belastet. Plastik steckt nicht nur in Strohhalmen, sondern auch in Feuchttüchern, Kleidung und anderen Textilien. Polyester hat natürlich auch gute Eigenschaften. Alternativen aus Cellulose haben aber ebenfalls gute Eigenschaften und sind zudem biologisch abbaubar.

Und warum sind sie dann nicht so beliebt?

Dr. Deheyn: Da wäre zunächst die Kennzeichnung. Viele Menschen wissen meiner Meinung nach nicht, dass sie Polyester, also Plastik, kaufen. Bei Feuchttüchern besteht derzeit gar keine Verpflichtung, die eingesetzten Fasermaterialien anzugeben. Die Regierungen müssen sich dafür einsetzen, dass die Bestandteile unserer gekauften Produkte ausgewiesen werden. Wie bei Lebensmitteln. Die Hersteller müssen angemessen kennzeichnen. Ich denke auch, dass über die Alternativen mehr gesprochen und diese auch häufiger kommuniziert werden müssen. Und wir müssen uns verständlich ausdrücken und Akronyme vermeiden. Jeder weiß was Kunststoffe ist aber nicht unbedingt, was PPE und PPS sind. In ähnlicher Weise sollten wir „holzbasiert“ oder andere einfache Benennungen verwenden, wenn die Menschen verstehen sollen was Viskose und Lyocell sind.

Bessere Öffentlichkeitsarbeit?

Dr. Deheyn: Oh ja, es muss viel bessere Öffentlichkeitsarbeit geben, um die vorherige Frage zu ergänzen. Wir leben bereits in einer Welt, die Alternativen für Plastik bietet, doch das spielt sich noch in sehr kleinem Maßstab ab. Alternative Materialien haben eine andere finanzielle Bedeutung auf die Weltwirtschaft (und erscheinen daher weniger bedeutsam) und der Aspekt der biologischen Abbaubarkeit muss noch perfektioniert werden. Aber wenn die Kundenbasis fehlt ist es schwierig, an all diesen Fronten voranzukommen. Ich selbst finde es schwer etwas zu finden, das kein Plastik enthält. Dabei achte ich sehr bewusst darauf.

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